Fragen & Antworten

Klicken Sie auf die Frage, die Sie interessiert. Sie erhalten dann eine kurze Antwort und einen Hinweis, welche Beiträge des Buches (Download) sich mit dieser Frage beschäftigen.

  1. Was bedeutet » Neutralität « in der internationalen Politik?

Neutralität bedeutet, dass sich ein Staat militärisch nicht in einen Krieg zwischen anderen Staaten einmischt. Ein neutraler Staat greift also weder direkt (z.B. durch das Entsenden von Truppen oder die Versorgung mit Waffen) oder indirekt (z.B. durch den Transit fremder Truppen über das eigene Territorium oder die finanzielle Unterstützung eines kriegführenden Staaten) in einen Krieg ein.

Mehr dazu in den Beiträgen von Miloš Vec und Stephan Wittich.

  1. Wie unterscheidet sich Neutralität von » Bündnis-/Allianzfreiheit « und » Blockfreiheit «?

Bündnis- oder Allianzfreiheit bedeutet, dass ein Staat keinem militärischen Bündnis (wie etwa der NATO) angehört und damit auch keinen Bündnisverpflichtungen (wie einer Beistandspflicht im Fall eines Angriffs) unterliegt. Bündnis- oder Allianzfreiheit sagt jedoch nichts darüber aus, wie sich dieser Staat im Falle eines Krieges zwischen anderen Staaten verhält. Er kann militärisch eingreifen oder sich neutral erklären.

Blockfreiheit bezeichnet eine politische Haltung, bei der sich ein Staat keinem der großen Machtblöcke der internationalen Politik anschließt. Während des Kalten Krieges verstand sich die » Bewegung der Blockfreien Staaten « (eng.: Non-Aligned Movement) als unabhängig sowohl vom Ostblock unter der Führung der Sowjetunion als auch vom Westblock unter der Führung der USA.

Mehr dazu im Beitrag von Stephan Wittich.

  1. Welche Rechte und Pflichten haben neutrale Staaten?

Die Rechte und Pflichten neutraler Staaten sind im Völkerrecht, insbesondere in den Haager Abkommen von 1907, geregelt. Das zentrale Recht eines neutralen Staates ist die Unverletzlichkeit seines Territoriums. Das Staatsgebiet eines neutralen Staates darf von kriegführenden Staaten also weder angegriffen noch militärisch genutzt werden. Im Gegenzug hat der neutrale Staat die Pflicht, Verletzungen seiner Neutralität zu verhindern, wenn nötig auch mit militärischen Mitteln. Außerdem darf er sich nicht militärisch an einem Krieg beteiligen.

Die Rechte und Pflichten neutraler Staaten gelten ausschließlich für zwischenstaatliche Kriege. Eine zentrale Herausforderung des Neutralitätsrechts besteht darin, dass sich die Formen der Kriegsführung seit seiner Entstehung stark verändert haben.

Mehr dazu in den Beiträgen von Stephan Wittich und Ralph Janik.

  1. Ist Neutralität nicht unmoralisch?

Ob Neutralität unmoralisch ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Die Bewertung hängt stark von den moralischen Maßstäben, historischen Erfahrungen und politischen Traditionen ab, die man heranzieht.

So galt Krieg im 19. Jahrhundert noch weithin als legitimes Mittel staatlicher Politik, eine Unterscheidung zwischen illegalem Angriffskrieg und legalem Verteidigungskrieg war im Völkerrecht noch nicht etabliert. Vor diesem Hintergrund war Neutralität moralisch unverdächtig und teils sogar geboten, um nicht in Konflikte hineingezogen zu werden. Mit der völkerrechtlichen Ächtung des Angriffskrieges (Hathaway und Shapiro 2017) und dem Gewaltverbot in der Charta der Vereinten Nationen wächst jedoch der moralische Rechtfertigungsdruck für neutrale Staaten. Es stellt sich die Frage, ob und wie Neutralität vertretbar ist, insbesondere dann, wenn Hilfe möglich wäre.

Für Pazifist:innen, die jegliche Gewalt ablehnen, ist Neutralität konsequent und moralisch geboten. Für jene hingegen, die militärische Gewalt zur Verteidigung als legitim ansehen, kann Neutralität in bestimmten Situationen wie eine unterlassene Hilfeleistung und damit moralisch bedenklich erscheinen.

In Debatten über die Neutralität, die häufig mit moralischen oder ethischen Urteilen geführt werden, ist es daher wichtig, die jeweiligen Ausgangspunkte für diese zu kennen und zu benennen zu machen — also etwa, ob man Gewalt prinzipiell ablehnt oder unter bestimmten Bedingungen als legitim betrachtet.

Mehr dazu in den Beiträgen von Jodok Troy, Wolfgang Palaver sowie von Franz Cede und Ralph Janik.

  1. Darf sich ein neutraler Staat politisch oder moralisch für oder gegen eine Kriegspartei positionieren?

Ja. Neutralität verpflichtet zur militärischen Nichteinmischung. Ein neutraler Staat darf sich aber politisch und moralisch zu einem Krieg positionieren. Wenn etwa Vertreter:innen Österreichs den Angriffskrieg Russlands verurteilen oder den ukrainischen Präsidenten in Wien empfangen, ist dies keine Verletzung der Neutralität.

Mehr dazu in den Beiträgen von Stephan Wittich, Ralph Janik sowie von Franz Cede und Ralph Janik.

  1. Warum ist Österreich überhaupt neutral?

Die Neutralität war die Bedingung der Alliierten für den Abschluss des Staatsvertrags und damit für die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs. Am entschiedensten setzte sich die Sowjetunion für ein neutrales Österreich ein — nicht zuletzt, weil sie sich davon eine Schwächung des Westens erhoffte. Aber auch innerhalb Österreichs überwog der Wunsch, sich trotz einer politischen Orientierung gen Westen keinem der beiden Militärblöcke anzuschließen.

Im Rahmen der Moskauer Verhandlungen, die im April 1955 zwischen Vertretern Österreichs und der Sowjetunion stattfanden, erfolgte schließlich die Einigung über die Neutralität. Im sogenannten » Moskauer Memorandum « vom 15. April 1955 verpflichtete sich Österreich, eine Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz anzunehmen.

Am 15. Mai 1955 wurde der » Staatsvertrag « unterzeichnet, durch den Österreich wieder zu einem unabhängigen Staat wurde. Die Neutralität selbst ist jedoch nicht im Staatsvertrag verankert.

Diese wurde mit dem Beschluss des Neutralitätsgesetzes (» Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs «) am 26. Oktober 1955 eingerichtet, wodurch Österreich schließlich seine im Moskauer Memorandum festgehaltene Verpflichtung erfüllte.

Mehr dazu in den Beiträgen von Wolfgang Mueller und Andreas Müller.

  1. Wo ist die Neutralität Österreichs rechtlich verankert?

Nicht im Staatsvertrag! Sie ist im » Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs « verankert, das am 26. Oktober 1955 vom Nationalrat beschlossen wurde (BGBl. Nr. 211/1955). Das Gesetz besteht aus zwei Artikeln:

Artikel I.

  1. Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.
  2. Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen.

Artikel II.

Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung betraut.

Mehr dazu im Beitrag von Andreas Müller.

  1. Bedeutet » immerwährende Neutralität «, dass Österreich für immer neutral bleiben wird?

Nein. « Immerwährende » oder auch » permanente « Neutralität bedeutet, dass ein Staat erklärt, zukünftig in allen Kriegen neutral zu sein. Im Gegensatz dazu ist die » gewöhnliche « oder » temporäre « Neutralität auf einen konkreten Krieg bezogen. So hat sich beispielsweise Portugal im Zweiten Weltkrieg neutral erklärt. Ein immerwährend oder permanent neutraler Staat kann seine Neutralität aber auch beenden.

Mehr dazu in Beiträgen von Stephan Wittich und Peter Bußjäger.

  1. Wie könnte Österreich seine Neutralität beenden?

Die Neutralität ist als Bundesverfassungsgesetz verankert und könnte durch eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen im Nationalrat bei einer Anwesenheit von mindestens der Hälfte seiner Mitglieder aufgehoben werden. Da sie — anders als das demokratische, rechtsstaatliche, bundesstaatliche oder republikanische Prinzip — kein sogenanntes Bauprinzip der Bundesverfassung darstellt, wäre eine Volksabstimmung rechtlich nicht zwingend erforderlich. Angesichts des breiten Rückhalts in der Bevölkerung erscheint es jedoch fraglich, ob ihre Abschaffung politisch ohne eine Befassung des Staatsvolks gewagt werden würde.

Mehr dazu im Beitrag von Peter Bußjäger.

  1. Hat sich Österreichs Neutralität seit 1955 verändert?

Ja, sie war nicht statisch sondern wurde im Laufe der Zeit durchaus unterschiedlich interpretiert und ausgestaltet.

Unmittelbar nach 1955 trat Österreich internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen bei und engagierte sich in diesen, entwickelte also eine international orientierte Neutralität. In den 1970er-Jahren, insbesondere unter Bundeskanzler Bruno Kreisky, wurde die Neutralität als Mandat und Mittel für ein aktives globales Engagement verstanden. Österreich betätigte sich als internationaler Vermittler und profilierte sich als Standort internationaler Diplomatie.

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und mit dem EU-Beitritt 1995 wandelte sich die Neutralität abermals — sie wurde zu einer » differentiellen Neutralität «. Österreich räumte sich Bereiche ein, in denen es seine Neutralität aussetzen kann. Konkret betrifft dies die Teilnahme an Maßnahmen, die im Rahmen des Systems kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen und im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union beschlossen und umgesetzt werden. So beteiligte sich Österreich etwa an den Sanktionen, die der UN-Sicherheitsrat gegen den Irak nach dessen Annexion von Kuwait im August 1990 verhängte, und an den Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland.

Ab Mitte der 2000er Jahre kam eine weitere Veränderung hinzu: die politische Debatte über die Neutralität kam weitgehend zum Erliegen. Sie wandelte sich also zu einer » differentiellen « und » de-politisierten « Neutralität. Nach der Vollinvasion Russlands in der Ukraine haben sich vor allem Vetreter:innen der Zivilgesellschaft für eine Wiederbelebung der Dabette über die Neutralität ausgesprochen.

Mehr dazu in Beiträgen von Martin Senn und Jodok Troy sowie von Martin Senn, Andreas Müller, Marion Foster und Wolfgang Mueller.

  1. Wie stehen die Österreicher:innen zur Neutralität?

Die Neutralität genießt bei den Österreicher:innen großen Rückhalt, wobei sich sowohl zwischen den Generationen als auch zwischen Personen mit unterschiedlichen politischen Orientierungen (links, Mitte, rechts) Unterschiede in den Einstellungen zur Neutralität zeigen.

Mehr dazu im Beitrag von Anna Saischek und Anna Stock.

  1. Ist Österreich verpflichtet, seine Neutralität militärisch zu verteidigen?

Das Haager Abkommen von 1907 legt fest, dass neutrale Staaten die Pflicht haben, Verletzungen ihrer Neutralität zu verhindern. Sie können dabei auch auf militärische Mittel zurückgreifen, deren Einsatz  »nicht als eine feindliche Handlung angesehen werden«  darf. Das Völkerrecht ermöglicht es neutralen Staaten also, ihre Neutralität mit militärischen Mitteln zu schützen, verpflichtet sie aber nicht dazu.

Bereits während der Verhandlungen zum Staatsvertrag wurde klar, dass Österreichs Neutralität eine bewaffnete sein solle. Das Neutralitätsgesetz bezieht sich schließlich in Artikel I auf die Verhinderungspflicht. In diesem Artikel heißt es, dass Österreich seine Neutralität » mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen « wird. Die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Neutralitätsgesetzes erklären außerdem, dass sich Österreich zu einer bewaffneten Neutralität verpflichtet.

Im Jahr 1975 wurde die bewaffnete Verteidigung der Neutralität schließlich explizit in Art 9.a des Bundes-Verfassungsgesetzes festgeschrieben: » Österreich bekennt sich zur umfassenden Landesverteidigung. Ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität «.

Mehr dazu in Beiträgen von Stephan Wittich, Ralph Janik sowie von Franz Eder und Gregor Salinger.

  1. Wäre Österreich in der Lage, seine Neutralität militärisch zu verteidigen?

Österreich hat die militärische Dimension seiner Neutralität im Lauf der Zweiten Republik vernachlässigt. Zwar sind mittlerweile höhere Investitionen in Ausrüstung und Infrastruktur des Bundesheers vorgesehen, doch die Bereitschaft der Österreicher:innen, einen Beitrag zur militärischen Landesverteidigung zu leisten, bleibt sehr gering.

Mehr dazu in den Beiträgen von Thomas Nowotny, Ralph Janik sowie von Franz Eder und Gregor Salinger.

  1. Schützt die Neutralität Österreich vor militärischen Angriffen?

Nein. Zwar ist es kriegführenden Staaten durch das Völkerrecht verboten, einen neutralen Staat anzugreifen oder dessen Territorium für militärische Zwecke zu nutzen, aber dieses Verbot wurde in der Vergangenheit häufig missachtet. So wurde etwa das neutrale Belgien im Ersten und Zweiten Weltkrieg von Deutschland besetzt und die Sowjetunion annektierte die drei baltischen Staaten, Estland, Lettland und Litauen trotz ihrer Neutralität. Die Geschichte zeigt also, dass der Status der Neutralität alleine keinen Schutz vor militärischen Angriffen bietet.

Um vor Angriffen geschützt zu sein, muss ein neutraler Staat seine Neutralität gestalten. Er kann sie zum einen wehrhaft machen, also Streitkräfte unterhalten, die einem potenziellen Aggressor signalisieren, dass eine Verletzung der Neutralität mit hohen Kosten verbunden wäre. Man spricht hierbei auch von der » bewaffneten Neutralität «. Zum anderen kann der neutrale Staat versuchen, seine Neutralität dadurch abzusichern, dass ihr Weiterbestehen für anderen Staaten einen Mehrwert darstellt. Inwiefern ein Staat auf diese Optionen setzt und wie er sie gestaltet, ist eine Frage der staatlichen Neutralitätspolitik.

Mehr dazu in den Beiträgen von Thomas Nowotny, Ralph Janik sowie von Franz Eder und Gregor Salinger.

  1. Ist Österreich durch seine Neutralität ein attraktiver Standort für internationale Organisationen?

Der Status als neutrales Land hat während des Ost-West-Konflikts zur Attraktivität Österreichs als Standort internationaler Organisationen beigetragen, war jedoch nicht der einzige ausschlaggebende Faktor. Die Entscheidung von internationalen Organisationen für Österreich als Amtssitz wurde und wird durch ein Bündel von Faktoren beeinflusst, etwa steuerliche Vergünstigungen, internationale Erreichbarkeit oder die Anwesenheit anderer internationaler Organisationen.

Mehr dazu im Beitrag von Sarah Knoll und Elisabeth Röhrlich.

  1. Macht die Neutralität Österreich zu einem effektiven Vermittler und Brückenbauer?

Die Neutralität alleine macht einen Staat nicht zu einem Vermittler. Sie kann aber im Zusammenwirken mit anderen Faktoren wie etwa anerkannter Expertise zu einer Konfliktregion oder einem Politikbereich, einer Geschichte der guten Beziehungen zu einem Staat oder persönlichen Kontakte von Diplomat:innen einen Beitrag zu erfolgreicher Vermittlung und Diplomatie leisten.

Aus dem Status der Neutralität folgt ebenfalls nicht zwingend, dass Konfliktparteien einen neutralen Staat auch als unparteiisch wahrnehmen. Ein neutraler Staat kann von den Konfliktparteien sehr wohl als parteiisch wahrgenommen werden, ein nicht-neutraler Staat hingegen als unparteiisch. Das Beispiel Norwegens zeigt, dass auch ein Staat, der nicht neutral und Mitglied der NATO ist, in der Konfliktmediation erfolgreich sein kann (Eriksson 2020).

In den globalen Krisen des Kalten Kriegs konnte Österreich, wie auch die anderen neutralen Staaten, nur wenig ausrichten. In den Phase der Entspannung kam den neutralen Staaten jedoch eine größere Bedeutung zu. So konnte Österreich etwa bedeutende Beiträge im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) leisten. Nach dem Ende des Kalten Krieges konnte sich Österreich auf Basis seiner Neutralität erfolgreich im Bereich der humanitären Rüstungskontrolle engagieren.

Mehr dazu in den Beiträgen von Anna Graf-Steiner und Peter Ruggenthaler sowie von Alexander Kmentt.

  1. Verletzt Österreich seine Neutralität, wenn es sich an Sanktionen beteiligt, die von den Vereinten Nationen oder der Europäischen Union verhängt werden?

Nein. Nach dem Ende des Ost-West Konfliktes und dem Beitritt zur Europäischen Union hat sich Österreich Bereiche eingeräumt, in denen es seine Neutralität aussetzen kann. Dies betrifft das System kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen und die Gemeinsame Außen- und Sicherheistpolitik der EU. Hier kann Österreich Maßnahmen mittragen (z.B. Sanktionen) oder erlauben (z.B. den Transit militärischer Güter über das Territorium), die mit den Pflichten neutraler Staaten nicht vereinbar wären. Österreich folgt also einer sogenannten » differentiellen Neutralität «.

Mehr dazu in den Beiträgen von Andreas Müller und Ralph Janik.

  1. Gilt die Beistandspflicht im Falle eines militärischen Angriffs auf einen anderen EU-Staat auch für Österreich?

Ja. Artikel 42 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union hält dazu fest:

» Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Staaten unberührt. «

Zwar könnte sich Österreich auf den zweiten Satz dieses Artikels (» Dies lässt den besonderen Charakter …. «) berufen, der auch als » Irische Klausel « bekannt ist, und von Maßnahmen Abstand nehmen, die es als unvereinbar mit seiner Neutralität erachtet. Diese Klausel entbindet Österreich jedoch nicht von der grundsätzlichen Pflicht, Beistand zu leisten. Österreich hat zudem durch Artikel 23j des Bundes-Verfassungsgesetzes einen rechtlichen Rahmen für Beiträge im Rahmen eines europäischen Beistandsfall gelegt.

Die (politische) Frage ist demnach nicht ob, sondern wie Österreich Beistand leisten würde.

Mehr dazu in den Beiträgen von Andreas Müller und Ralph Janik.

  1. Welche Rolle spielt die Neutralität für die Gesellschaft Österreichs?

Die Neutralität ermöglichte es Österreich, sich von der eigenen, gewaltsamen Geschichte und von Deutschland abzugrenzen, also nach dem Zweiten Weltkrieg eine eigene nationale Identität zu entwickeln. Sie wurde Teil der politischen Erzählung über die erfolgreiche Entwicklung der Zweiten Republik und damit wesentlich für das Selbstverständnis und den Zusammenhalt des politischen Gemeinwesens.

Sie ist also ein gesellschaftlicher Identifikationspunkt und scheint zugleich ein Anker in Zeiten des rapiden Wandels und der wachsenden Unsicherheit zu sein. Darin liegt ein Paradox der Neutralität: Gerade in Momenten, in denen ihre Neubewertung geboten wäre, scheint die Gesellschaft umso stärker an ihr festhalten zu wollen.

Mehr dazu im Beitrag von Martin Senn.

  1. Wie wird Österreichs Neutralität von anderen Staaten wahrgenommen?

Es gibt keine einheitliche Wahrnehmung der Neutralität Österreichs. Wahrnehmungen der Neutralität an sich und einzelner neutraler Staaten hängen von historischen Bedingungen und den Blickwinkeln der Staaten ab.

So wurde die Neutralität im 19. Jahrhundert sehr geschätzt, weshalb dieses Jahrhundert auch als das » goldene Zeitalter der Neutralität « bezeichnet wird. Nach den ernüchternden Erfahrungen mit der Neutralität in den beiden Weltkriegen und vor allem angesichts der Entwicklung des Systems kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen wurde der Blick auf die Neutralität im 20. Jahrhundert kritischer. Kollektive Sicherheit beruht auf der Unterscheidung zwischen unrechtmäßiger Gewalt (Angriff, Aggression) und rechtmäßiger Gewalt (Selbstverteidigung) sowie auf gemeinsamen Maßnahmen von Staaten gegen Verletzungen des Gewaltverbots (z.B. Sanktionen oder militärische Interventionen). In einem solchen System geraten neutrale Staaten eher unter Rechtfertigungsdruck und Kritik.

Ähnliches gilt für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Zwar wird den neutralen Mitgliedstaaten durch Instrumente wie die » Irische Klausel « oder die » konstruktive Enthaltung « die Möglichkeit eingeräumt, sich nicht an Maßnahmen zu beteiligen, die sie als unvereinbar mit ihrer Neutralität sehen. Aber es entstehen trotzdem Fragen und Kritik zur Beteiligung neutraler Staaten an der gemeinsamen Sicherheit und Verteidigung Europas. Österreich und anderen neutralen Staaten wird vorgeworfen » Trittbrettfahrer « in der Sicherheitspolitik zu sein — sich also von anderen Staaten mitverteidigen zu lassen, aber im Gegenzug (zu) wenig in die eigene Sicherheit und die gemeinsame Sicherheit zu investieren.

Andererseits zeigt Österreichs erfolgreiches Engagement im Bereich der Rüstungskontrolle und Abrüstung aber, dass der Status als neutraler Staat von anderen Staaten auch positiv wahrgenommen wird und damit diplomatische Möglichkeiten eröffnet.

Mehr dazu in den Beiträgen von Laure Gallouët, Alexander Kmentt, Miloš Vec sowie von Anna Saischek und Anna Stock.

  1. Wie steht es um Neutralität der Schweiz, Irlands und Maltas?

In diesen drei Ländern ist die Neutralität, ebenso wie in Österreich, ein zentraler Bestandteil staatlicher Identität und genießt breiten Rückhalt in der Bevölkerung.

Besonders in Irland und Malta zeigt sich, dass Neutralität häufig als übergeordneter Rahmen für außen- und sicherheitspolitische Debatten dient, wodurch deren inhaltliche Tiefe und Wirksamkeit begrenzt werden. Das unterstreicht, wie wichtig es ist, eine Debatte über die Neutralität nicht zum Einstieg oder Ersatz, sondern zu einem Baustein einer umfassenderen Debatte über Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu machen.

In allen drei Staaten zeigt sich schließlich auch, dass eine zentrale Herausforderung in der politischen Gestaltung des Verhältnisses zwischen Neutralität und internationaler Solidarität liegt.

Mehr dazu in den Beiträgen von Laurent Goetschel, Kenneth McDonagh und Roderick Pace.

  1. Warum sind Finnland und Schweden der NATO beigetreten?

Schweden war seit Beginn des 19. Jahrhunderts neutral, während für Finnland der » Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand « mit der Sowjetunion vom April 1948 der Ausgangspunkt für seine Neutralität war.

Nach dem Ende des Ost-West Konflikts haben Schweden und Finnland ihre Neutralität zu einer Block-/Allianzfreiheit gewandelt, also einer Nicht-Mitgliedschaft in Militärallianzen. Als sich im Zuge des Georgien Kriegs im Jahr 2008 die zunehmende Aggression Russlands abzeichnete, begannen die beiden Staaten ihre Verteidigungsanstrengungen und -zusammenarbeit zu intensivieren.

Angesichts Russlands Vollinvasion der Ukraine im Februar 2022 vollzog zunächst Finnland eine politische Wende – die Bevölkerung begann einen NATO-Beitritt mehrheitlich zu befürworten, die Regierung von Sanna Marin griff diesen Umschwung auf und führte eine proaktive Debatte über den NATO-Beitritt. Maßgeblich waren dabei auch die tiefgreifenden Kriegserfahrungen Finnlands (Winterkrieg 1939-1940 und Fortsetzungskrieg 1941-1944) und die bis heute anhaltende kollektive Erinnerung der finnischen Bevölkerung an diese. Finnlands Initiative setzte Schweden unter Druck, das sich danach ebenfalls in Richtung eines NATO-Beitritts bewegte, dabei aber mit inneren und äußeren Widerständen konfrontiert war.

Mehr dazu im Beitrag von Kristina Birke Daniels.

  1. Wie soll es mit der Neutralität Österreichs weitergehen?

Darüber müssen wir uns Gedanken machen und diskutieren. Dieses Buch soll dafür Anregungen geben, aber in seiner Gesamtheit nicht Position beziehen oder eine Empfehlung abgeben.

Mehr dazu im Beitrag von Martin Senn.

Eriksson, Jacob. 2020. „Mediation by Small States: Norway and Sweden in the Israeli–Palestinian Conflict“. In Handbook on the Politics of Small States, herausgegeben von Godfrey Baldacchino und Anders Wivel. Edward Elgar Publishing. https://doi.org/10.4337/9781788112932.00021.
Hathaway, Oona A., und Scott J. Shapiro. 2017. The Internationalists: How a Radical Plan to Outlaw War Remade the World. Simon & Schuster.