Martin Senn, Jodok Troy (Hg.)
Österreichs Neutralität:
Recht, Politik und Gesellschaft – Eine Debatte.

Bielefeld: Transcript Verlag, 2025.
DOI: 10.14361/9783839424452
Print-ISBN: 978-3-8376-7452-1
PDF-ISBN: 978-3-8394-2445-2
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Red’ ma drüber!

Die Rahmenbedingungen der österreichischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik — und damit auch der Neutralität — haben sich seit dem Ende des Ost-West-Konflikts tiefgreifend gewandelt. Vor allem in den letzten Jahren hat sich dieser Wandel stark beschleunigt.

  • Österreich befindet sich nicht mehr direkt an einer Konfliktlinie der internationalen Politik, wie es zu Zeiten des Ost-West Konflikts und des Eisernen Vorhangs der Fall war. Es wurde vom neutralen » Trennraum « (Brill 1999) zwischen Ost und West zum neutralen Binnenraum innerhalb der EU und NATO.

  • Österreich ist seit 1995 Mitglied der Europäischen Union und nimmt an ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie ihrer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolituik (GSVP) teil — seit dem Vertrag von Lissabon beinhaltet diese auch eine Beistandspflicht im Fall eines bewaffneten Angriffs auf einen Mitgliedstaat der EU.

  • Die von den USA nach 1945 angeführte » liberale internationale Ordnung «, in der sich auch Österreich zu einem sicheren und wohlhabenden Staat entwickeln konnte, steckt in der Krise. Die USA sind nicht länger gewillt, die Rolle der Führungsmacht zu übernehmen. Russland und China versuchen ihre Vorstellungen einer alternativen Ordnung durchzusetzen (Rowe 2024). Anti-demokratische Kräfte innerhalb der liberalen internationalen Ordnung wenden sich gegen ihre Grundprinzipien, während Russland und China durch Kampagnen der Desinformation und Manipulation versuchen, demokratische Gesellschaften zu destabiliseren (Brandt 2021).

  • Das Gewaltverbot, das 1945 in der Charta der Vereinten Nationen als Grundprinzip des Systems kollektiver Sicherheit angelegt wurde, gerät durch die Zunahme von bewaffneten Konflikten (BICC 2025; Rustad 2024), aber auch durch offene und verhohlene Androhungen von Gewalt unter Druck (Hathaway und Shapiro 2025) — so etwa durch Präsident Trumps Aussage, dass er nicht auschließen könne, notfalls auch Gewalt die Kontrolle über Grönland zu erlangen. Eine Schwächung des Gewaltverbots ist vor allem für Kleinstaaten wie Österreich ein Problem.

  • Europas Sicherheit wird durch die Aggression Russlands und die Abkehr der Vereinigten Staaten von der Rolle als Sicherheitsgarant bedroht. Die europäischen Staaten und die Europäische Union zeigen daher mehr Ambitionen in Richtung einer eigenständigen Verteidigungsfähigkeit und einer stärkeren Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

  • Sicherheit ist heute mehrdimensional: Neben militärischen Bedrohungen können auch Umweltverschmutzung, Klimawandel, Versorgungsengpässe bei Rohstoffen und Angriffe auf digitale Infrastrukturen die Sicherheit von Staaten erheblich gefährden.

Angesichts dieses Wandels wäre es dringend nötig, über das Wesen und den Wert der Neutralität Österreichs zu diskutieren. Eine solche Debatte hat in Österreich in den vergangenen 20 Jahren jedoch nicht stattgefunden — und sie will auch nach der sicherheitspolitischen » Zeitenwende « in Europa nicht so recht in Gang kommen.

Das Buch » Neutralität Österreichs: Recht, Politik und Gesellschaft - Eine Debatte « ist eine Aufforderung und ein Auftakt zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit diesem und über dieses Thema.

Eine Debatte über die Neutralität sollte ein Baustein einer breiteren Debatte über Ziele und Herausforderungen sowie Maßnahmen und Ressourcen in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik Österreichs sein — keinesfalls ihr Ausgangspunkt oder ihr Ersatz! Es muss also darüber diskutiert werden, wie sich Österreich in der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts positionieren möchte und welche Rolle(n) die Neutralität dabei spielen könnte.

Diese Debatte sollte schließlich nicht auf Expert:innen, Politiker:innen und Diplomat:innen beschränkt bleiben, sondern auch in die Bevölkerung getragen werden — nicht zuletzt, um der populistischen Instrumentalisierung des Themas entgegenzuwirken. Das gesamte Buch ist daher im open-access Format frei verfügbar.

Diese Website dient der Information über das Buch und seine Beiträge sowie als Einstieg in das Thema.

BICC, INEF, IFSH, Hrsg. 2025. Friedensgutachten 2025 - Frieden retten! Transcript Verlag. https://doi.org/10.14361/9783839423851.
Brandt, Jessica. 2021. „How Autocrats Manipulate Online Information: Putin’s and Xi’s Playbooks“. The Washington Quarterly 44 (3): 127–54. https://doi.org/10.1080/0163660X.2021.1970902.
Brill, Heinz. 1999. Österreichs geopolitische Lage im Wandel: – Vom Trennraum zum Bindeglied“. Zeitschrift für Politik 46 (4): 441–49. https://www.jstor.org/stable/24228020.
Hathaway, Oona, und Scott Shapiro. 2025. „Might Unmakes Right: The Catastrophic Collapse of Norms Against the Use of Force“. Foreign Affairs 104 (4): 80–93. https://www.foreignaffairs.com/united-states/might-unmakes-right-hathaway-shapiro.
Rowe, David M. 2024. „Die zwei Prinzipien der Weltordnung“. Internationale Politik, Nr. 6. https://internationalepolitik.de/de/die-zwei-prinzipien-der-weltordnung.
Rustad, Siri Aas. 2024. Conflict Trends: A Global Overview, 1946–2024. PRIO Paper 2025. Peace Research Institute Oslo (PRIO). https://www.prio.org/publications/14453.